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Das Konzept der Virtuellen Unterrichtshospitation

Als Virtuelle Unterrichtshospitation bezeichnet man eine Auseinandersetzung mit Unterrichtsvorhaben auf der Grundlage von Unterrichtsvideos oder multimedialen Unterrichtsdokumenten. Die audiovisuelle Betrachtung des Unterrichtsgeschehens zeigt pädagogisch Praxis anschaulich nachvollziehbar und ermöglicht so eine erfahrungsfundierte theoriegeleitete Auseinandersetzung mit Unterricht. Zwischen den beiden Medien-Typen wird in der neueren deutschsprachigen und amerikanischen Literatur selten unterschieden — meist wird als Sammelbegriff "Unterrichtsvideo" oder "Unterrichtsvideografie" verwendet. Eine klare begriffliche Unterscheidung ist jedoch aus guten Gründen notwendig ("Unterrichtsvideo oder multimediales Unterrichtsdokument ?").

Der Virtuellen Unterrichtshospitation können entweder ‚Fremdvideos’ zugrunde liegen (die Lehrkraft im Video, deren Unterricht betrachtet und besprochen wird, ist den Betrachtern nicht bekannt) oder ‚Eigenvideos’ (die aufgenommene Lehrkraft ist bei der Besprechung dabei: „Ich bin drauf, mein Unterricht steht zur Diskussion.“). Ob in einem Seminar mit ‚Eigenvideos’ oder mit ‚Fremdvideos’ gearbeitet wird, ist in erster Linie eine Frage der Ziele, die man damit anstrebt. Die beiden Varianten sind keine einander ausschließenden Alternativen, sondern ergänzen sich ("Fremdvideos oder Eigenvideos ?"). Die Auseinandersetzung mit einem videografierten Unterrichtsvorhaben kann entweder als analytische Aufarbeitung nach vorgegebenen Kriterien erfolgen oder mit dem Ziel einer Reflexion nach selbst gewählten Schwerpunkten ("Unterrichtsreflexion oder Unterrichtsanalyse ?").

Multimediale Unterrichtsdokumente gibt es in einer Vielzahl von Varianten – je nach Verwendungszweck wird das Unterrichtsvideo mit weiteren Unterrichtsdokumenten angereichert, z.B. dem Unterrichtsentwurf, Protokollauszüge vom Unterrichtsgespräch oder den im Unterricht verwendeten Arbeitsmaterialien.

Prototyp für eine multimediale Unterrichtsdokumentation sind im deutschsprachigen Raum die Hannoveraner Unterrichtsbilder. Sie enthalten die für den aufgezeichneten Unterricht herangezogenen Planungsunterlagen, die im Unterricht genutzten Medien, Wortprotokolle, exemplarische Resultate des Unterrichts u.a.m.. Jedes Hannoveraner Unterrichtsbild dokumentiert eine umfassende Unterrichtsepisode (meist eine Stunde oder Doppelstunde). Die so als didaktische Einheit dokumentierte Unterrichtsepisode kann unter den unterschiedlichsten (fach-)didaktischen oder lernpsychologischen Aspekten betrachtet werden.

Im Unterschied dazu enthalten WBA-Übungen jeweils nur eine kurze Videoszene (in der Regel zusammen mit dem Wortprotokoll zur Szene und ggfs. darin besprochenen Arbeitsblättern oder Folien), die in Hinblick auf genau einen didaktischen Aspekt zu analysieren ist (z.B. Beurteilung des Unterrichtseinstiegs, des Arbeitsauftrags, der Gruppenarbeit oder der Gesprächsführung).

Je nach Zielsetzung findet die Virtuelle Unterrichtshospitation in Einzelarbeit, als Gruppenarbeit oder in gemeinsamer Seminararbeit statt ("Szenarien zur Virtuellen Unterrichtshospitation"). In Kleingruppen und Seminaren regt der gemeinsame Blick auf ‚Unterricht in Aktion’ zu Diskussionen über Lehrerreaktionen auf unerwartete Entwicklungen, über die Umsetzbarkeit von Unterrichtskonzepten, die Bedeutung didaktischer Prinzipien oder den Sinn von Regeln an. Die Virtuelle Unterrichtshospitation unterstützt angehende Lehrer/innen dabei, das Potenzial von didaktischen Konzepten besser einschätzen zu können und ermöglicht es ihnen, den Ursachen von Unstetigkeit auf die Spur kommen ("Unstetigkeit von Unterricht – Desiderat  in Didaktik und  Unterrichtsforschung").

Eine günstige Vorbereitung der Videografie von Ausbildungsunterricht ist die Videoaufzeichnung von Unterrichtssimulationen und deren nachträgliche Besprechung im Seminar ("Videoaufzeichnung von Unterrichtssimulationen"). Es gibt Ausbildungsstandorte, in denen angehende Lehrer/innen verpflichtet sind, sich bei Unterrichtssimulationen im Rahmen eines Micro-teaching videografieren zu lassen, um daran eine schriftliche „Videoselbstanalyse“ vorzunehmen. Solche „Videoselbstanalysen“ können ein wertvoller Bestandteil eines während der Ausbildung anzulegenden Portfolios sein.

Unabhängig davon, mit welchem Szenarium gearbeitet und welcher Videotyp dabei genutzt wird, bietet eine videobasierte Unterrichtsbetrachtung fünf Vorzüge gegenüber einer Beschäftigung mit Unterrichtsbeschreibungen in Form von Texten:

Fünf Vorzüge der videobasierten Virtuellen Unterrichtshospitation

1. Mit Videos kann die temporeiche Unterrichtsinteraktion so genau wie möglich in den Blick genommen werden; das Stoppen und Wiederholen ermöglicht ein Überdenken und Überprüfen.

2. Ein Video deckt Beobachtungslücken auf und widerlegt Stereotype von Beobachtern.

3. Ein Video lässt Ambivalenzen von Situationen deutlich werden.

4. Ein Video erleichtert das Hineinversetzen in die Akteure (Lehrer und Schüler).

5. Mit Videos kann man auch solchen Lehrereaktionen auf die Spur kommen, die einem Hospitierender entgangen sind und an die sich Lehrer selbst hinterher nicht mehr erinnern.